Ghost. Train.

Prosa

Meine Hand streift über die reifen Früchte, die perfekt aufgereiht in der Auslage liegen. Dunkelviolett und saftig. Drei für Zwei. Sagt die Verkäuferin. Aber drei waren schon immer eins zu viel. Du bist du zu viel, sagst du und ich weiss nicht was ich darauf antworten soll. Ich habe lange darüber nachgedacht. Hinterher ist es wie vorher. Und nicht immer hätte man es im Nachhinein vorher besser gewusst. Der Zeiger an der Uhr hat sich schon dreimal um seine eigene Achse gedreht und ich sitze hier. Noch immer. Lasse die Zeit verstreichen als hätte ich einen geheimen Vorrat. Irgendwo in Timbuktu. Dabei bist du es, der mal wieder irgendwo hinfährt und nirgendwo ankommt. Du tippst diese einzelnen Worte auf deinem Display. Touchscreen. Aber nur von außen. Und ich versuche mir vorzustellen, wie du dabei aussiehst. Ob deine Oberlippe ein bisschen zuckt, so wie früher und sich dann diese kleinen Grübchen links oben bilden. Direkt neben der tiefen Furche, die dein Gesicht verzaubert, wenn du von Herzen lachst. Ich versuche mir genau das vorzustellen, aber viel wahrscheinlicher ist, dass das nur eine lästige Pflicht für dich ist. Zwischen zwei Terminen. Irgendwo im Nirgendwo. Denn es gibt keinen Empfang in diesem Zug. Und zu deinem Herzen. Sowieso. Nicht. Ich fahre weiter in diesem Ghost-Train. Kopflos. Denn ich habe das Ticket für dieses Rennen gewonnen. Benutzung auf eigene Gefahr. Steht da in großen Lettern. No risk, no fun, denke ich. Und da ich schon mal da bin, lass ich es krachen. Let it rock and let it roll. Ich hätte es wissen können. Aber zwischen wollen und können liegen manchmal eben Welten. Und Kunst kommt nicht immer von Können. Du bist der perfekte Fremde, denke ich. Und du sagst „let´s just keep it like this“.

Ich sitze an meinem Küchentisch und beisse in diese saftig-süße Feige und frage mich, warum Feigen Feigen heissen und warum es deine Lieblingsfrüchte sind.

 

© Julia 

Irgendwo dazwischen.

Prosa

Der Hosenbund schneidet unangenehm in das weiche Fleisch, es tut außen weh, aber auch innen. Weil es zu viel ist, von allem. Weil sich jeder Tag nach Kater anfühlt und es so heftig pocht im Kopf. Und manchmal auch im Herzen. Weil die kurzen Tage in lange Nächte übergehen, klammheimlich und noch bevor die dritte Flasche Rotwein geleert ist, aber die Lippen schon ganz blau sind. Weil das Herz mal wieder übergelaufen ist und sich das Blut in den trockenen Hautfalten ausbreitet und festsetzt. Da hilft dann auch kein Schrubben und Bürsten mehr. Die Haut durstet nach dem Blut wie die Erde nach einem Sommer ohne Regen und saugt es förmlich in sich auf. Winzige Verästelungen auf dem Handrücken und zwischen Daumen und Zeigefinger. Wenn man nicht aufpasst, auch zwischen den Armen, links in der Mitte. Das geht relativ schnell und in solch einem Falle kann man auch recht wenig tun. Man muss das einfach aushalten. Weil Blut und Wasser immer ihren Weg finden. Tropfend und kriechend. Blitzschnell. Und man noch Wochen danach das Blut aus den Fliesen kratzt.

Wenn auf nichts alles folgt und auf alles nichts, verpasst man manchmal den richtigen Moment und bleibt mittendrin stehen. Man versumpft in einer Parallelwelt mit blutverkrusteten Fugen und mit dem guten Rotwein getränkten Parkettboden. Der Zug in den Süden ist bereits abgefahren und der nach Norden hat wegen akutem Schneefall Verspätung. Es bliebe noch der nach Osten oder Westen. Beide fahren erst übermorgen. Also steht man am verlassenen Bahnsteig mit seinem gepackten Köfferlein und hält Ausschau nach Zügen, die nicht fahren. Und steht irgendwo zwischen Nord und Südwest, zwischen gestern und übermorgen und sucht vergeblich nach dem Heute. Irgendwo dazwischen.

 

© Julia

11,2 ° C

Prosa

Ich sitze am Küchentisch und knibble etwas Haut seitlich von meinem Daumennagel. Ein Zeichen, dass es wieder Herbst ist. Dazu brauche ich nicht einmal raus zu gehen, um all die Blätter auf den Straßen zu sehen und all die Menschen mit ihren dicken Schals. Ich weiss das, weil ich es spüre. Nicht nur, weil die Luft anders riecht und ich wieder mit Bettsocken schlafen muss. Nein auch, weil diese verdammte Nagelhaut wieder so trocken ist. Da kannste cremen wie du willst, die ist einfach so staubtrocken. Wie ein Sandsturm in der Wüste, plötzlich da, obwohl du vor gerade einmal drei Wochen in Flipflops durch die grüne Oase gelaufen bist. Die Zeit ist einfach gnadenlos. Drei Wochen im Sommer sind drei Wochen. Aber im Übergang von Sommer zu Herbst, dieser undefinierbaren Zwischenjahreszeit, entsprechen drei Wochen drei Monaten. Die Zeit rast, oder es kommt einem nur so vor, weil sie im Sommer ja immer still steht. Sie rast und mit ihr die Gedanken, die in jede noch so verästelte Vene strömen. Ehrlicherweise hat man nach dem Sommer auch gar keine Lust mehr, auf jeder Welle zu surfen. Und es gibt auch kein kühles Bier mehr, mit dem man aufkommende Gedanken hätte hinunter spülen können. Es gibt nur kühle Luft, davon aber reichlich und die trocknet alles aus, nicht nur die Haut auch das Herz, welches vor ein paar Wochen noch purpurrot und saftig pumpte als gäbe es kein Morgen. Barfuss und mit dem Herz in der Hand nach Hause tanzen, bis die Wolken lila sind. Aber natürlich gibt es immer ein Morgen. Und heute sieht dieses Morgen schrumpelig und vertrocknet aus. Es ist wieder diese Zeit, in der die Realität so knallhart auf den Küchentisch klopft, dass mein Tee verschüttet als hellbraunes Rinnsal auf die weißen Fliesen tropft. Und wenn du nicht aufpasst, mit deinen Wollsocken, dann bist du schneller ausgerutscht als dir lieb ist.

Der Herbst ist so fies, weil er so gnadenlos ehrlich ist. So pur und irgendwie auch echt. Denn mit all den Blättern fällt auch meine Maske. Und deine. Die Wahrheit ist ja manchmal so verrückt, dass sie keiner glaubt. Vielleicht, weil wir vernebelt sind von all dem Weichspüler in unseren Acne Schals oder weil wir lieber Lügen glauben, so lange sie sich gut anfühlen.

Weisst du, die Sache ist ja die, dass du nicht da bist, wenn es Herbst wird. Dass du immer hier bist und dort, aber nie da. Wenn das Kissen neben mir kalt ist und mein Herz bis zum Hals schlägt. Da hast du leicht reden, denn Herbst ist ja nicht nur ein Gefühl, sondern real. Denn nur Sommer ist, was in deinem Kopf passiert. Und hier passiert gerade gar nichts, außer der Tatsache, dass lauwarmer Tee von meinem Küchentisch tropft und fast gefriert bevor er den Boden erreicht, weil die Luft so kalt ist. Weil zwischen Wollpullover und Flatterkleidchen immer noch ein Spalt breit Platz ist. Weil meine Türe immer noch einen Spalt weit offen steht. Du blockierst den Durchgang, verstehst du das? Im Sommer ist so ein bisschen Durchzug zuweilen ja noch ganz angenehm, aber jetzt, im Herbst kann solch einen eisigen Windhauch wahrhaftig niemand gebrauchen.

Das Thermometer zeigt 11,2 ° C und das ist Sommer im Vergleich zu der Kälte im Herz. Aber es sind auch 11, 2 ° C vom Gefrierpunkt entfernt und wenn wir dein und mein Herz zusammen tun, dann kommt dabei vielleicht so etwas wie Herbst heraus.

Ich drücke meine Nasenspitze an das kalte Küchenfenster und male mit dem Zeigefinger ein Herz in das kondensierte Nass. Die Tür fällt ins Schloss und ich spüre einen kühlen Windhauch in meinem Nacken.

 

© Julia

Siesta im Gehirn.

Lyrik

Es kribbelt in meinen Beinen und ich kann dem Drang mich hinzulegen nur schwer widerstehen. Um mich herum all diese Menschen, die alles besser wissen und können und überhaupt. Selbst der Bus vor der Türe fährt im Rhythmus meines Herzschlags. Nur langsamer. Meine Augenlider sind ganz schwer, weil die Gedanken so fest drauf drücken. Von innen. Ich blinzle gegen die Sonne und sehe nur weiße Wolken. Dann gibt es einen ziemlich lauten Knall. Es knackt etwas, so als würde man ein Stück morsches Holz entzweien. Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne und die fallen jetzt nahezu lautlos auf die Erde. Je nach dem, wie der Wind gerade weht, tanzen sie sogar noch eine Weile durch die Luft. Winzige Teilchen. Federleicht. Herausgebrochen aus zentnerschweren Stücken. Der Boden ist weich, fast wie die alte Schaumstoffmatratze auf dem Speicher. Das Kribbeln breitet sich von den Füßen in meinem gesamten Körper aus und es kitzelt in meinen Haarspitzen. Es riecht nach Sommerregen, nassem Holz und ein bisschen faul. Ich höre Musik, die so dumpf klingt als sei ich unter Wasser. Ganz tief im Ozean. Azurblau. Luftblasen kämpfen sich an die Oberfläche. Meilenweit. Schäumende Gischt und geschlossene Rollläden. Siesta im Gehirn. Es klingelt an der Türe und noch bevor ich aufstehe, sehe ich die Erde unter meinen Fingernägeln und rieche das Salzwasser in meinen Haaren.

 

© Julia

Volver.

Inspiration

Miguel lerne ich am Yachthafen kennen. Oder er mich. Nach einem kurzen, aber umso heftigeren Regenschauer setze ich mich auf die Stufen der Treppe, die das Barrio Alto mit dem Hafen verbindet. Die Sonne brennt plötzlich so heiß vom Himmel, dass ich die Feuchtigkeit auf meiner Haut verdampfen sehe. Ich schließe die Augen und lasse mit den warmen Wind um die Nase wehen. Nach dem Regen kommt die Sonne. Immer und immer wieder und manchmal auch innerhalb von Minuten. Die Angestellten der Schönen & Reichen wischen die letzten Regentropfen von den weißen Liegen an Board und stellen Champagnerflaschen für den Aperitif bereit. Es duftet herrlich nach frisch gegrilltem Fisch und Zitrone. Die Eiswürfel knacken in den Gläsern und ich schiebe mein Rad weiter am Ufer entlang. Miguel liegt auf einer Bank, die Füße lässig auf sein Fahrrad gestützt. „Ich komme gerade von der Arbeit“, wird er mir gleich erzählen, nachdem er mich ein bisschen mit seinem Fahrrad verfolgt hat. „Hier scheint die Sonne abends besonders lange und es kommen nur wenige Touristen. Perfekt, um den (Arbeits-) Tag ausklingen zu lassen. Miguel spricht mich auf Englisch an, weil ich – wie er findet – englisch aussehe. Erklären kann er mir das nicht. Aber er könne auch ein bisschen Deutsch. Ich muss lachen und wird kaufen uns ein eiskaltes San Miguel für einen Euro und setzen uns auf die Steine am Meer. Die sind noch ganz warm von der Sonne.

Während die Sonne am Horizont verschwindet und den Himmel in irgendetwas zwischen dunkelorange und hellpink verfärbt, erzählt mir Miguel von seiner Arbeit. „Ich arbeite am Flughafen. Wie fast jeder hier. Viel mehr gibt es ja nicht“, sagt er etwas abwertend, meint es aber nicht so. Er mag das einfache Leben hier. Er hat studiert und kam wieder zurück in seine Heimat, auf „mi islita“, wie er Mallorca liebevoll nennt. Und bei weitem kann man sich schlimmeres vorstellen, als den Feierabend am Meer zu verbringen. Ich summe „La isla bonita“ von Madonna an und jetzt muss Miguel lachen. Miguel erzählt mir aber auch, dass es ohne die zahlreichen Touristen recht öde wäre. Alles dreht sich um den Tourismus. „Hast du gesehen, wie die Küsten zugebaut sind, als du hergeflogen bist?“, fragt er mich und ich kann mich gar nicht richtig erinnern. „Zwei, dreihundert Meter vom Strand weg und dann nichts. Dabei ist es im Landesinneren so schön. Das wollen die aber nicht sehen“. Mit „die“ meint er die Touristen. Miguel ist klug genug, um nicht alle über keinen Kamm zu scheren, aber das Gros sei so. Am nächsten Tag will er mir Pilar vorstellen, die in einer der Betten-Burgen unten an der Playa arbeitet.

Yachthafen Palma

 

Ortswechsel: Ich strecke meinen großen Zeh in türkisblaues, kristallklares Wasser und wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen ich sei in der Karibik oder auf den Malediven. Der Sand ist puderzuckerfein und so weiß wie die herrlich bequemen balinesichen Betten, auf denen ich es mir gleich gemütlich machen werde. Ein weißes Tuch, das vor ungewollten Blicken schützen soll — oder vielleicht auch nur vor dem Wind — flattert grazil in ebendiesem und bildet einen tollen Kontrast zu dem Gerüst aus dunklem Holz. Ich nehme meine Sonnenbrille ab, um mich zu vergewissern, dass die Farben auch in echt so krass schön sind. Sind sie. Und ich fühle mich ein bisschen wie in der Raffaelo Werbung. Hach. Während ich mir noch die imaginären Kokosraspeln von den Lippen streiche, eilt auch schon Rodrigo herbei. Natürlich sind solche unfassbar schönen und bequemen Himmelbetten mit Me(h)erblick nicht ganz günstig, aber jeden einzelnen Cent wert, wie sich später herausstellen wird. Rodrigo ist einer der wenigen, der nicht sofort ins Englische wechselt, wenn mein spanischer Gedanke etwas länger braucht, ehe er zu einem vollständigen Satz wird. Was auch daran liegt, das Rodrigo kein Englisch spricht. Fünf bis sechs Monate arbeitet er hier unter der mallorquinischen Sonne, den Rest des Jahres verbringt er in seiner Heimat Kolumbien. Rodrigo trägt ein weißes T-Shirt und etliche Tattoos zieren seinen muskulösen Unterarm. Durch seine blau-verspiegelte Sonnenbrille kann ich seine Augen nur erahnen. Wenn er spricht, verschluckt er die letzten Silben immer etwas und erinnert mich dabei ein bisschen an diese coolen Reggaeton Sänger aus dem Musikfernsehen. Die Arbeit hier ist gut, erzählt er mir, „man braucht keine Vorkenntnisse. Eigentlich überhaupt keine Kenntnisse“. Und ich weiss nicht, ob ich das gut oder traurig finden soll.

Karibik im Kopf

Wenn es windig ist, was an diesem Küstenabschnitt relativ häufig vorkommt, bleiben die Touristen fern. „Die mögen das nicht“, sagt er und dabei blitzt immer wieder eines der drei Piercings in seiner Zunge hervor. Dafür erwachen die Mallorquiner aus ihrer Siesta und hissen die Segel ihrer Boote. Ich schaue dem Spektakel gerne zu, Rodrigo ist langweilig. „Keine Touristen, keine Arbeit und es ist erst 15 Uhr“. Sein Zeitgefühl tickt völlig anders. Als ich ihn frage, was er denn in den verbleibenden Monaten in Kolumbien macht antwortet er mit einem breiten Grinsen „nada“. Er erzählt mir, dass 1000 Euro hier, in Kolumbien in etwa 3000 EURO wert seien – wegen dem Umrechnungskurs, sagt rund gestikuliert dabei vielversprechend mit seiner Hand. „Es ist gute Arbeit und gutes Geld“, und wieder blitzt das Metall in seiner Zunge hervor. Abends fährt er mit seinem BMX nach Palma in die Stadt. Dort lebt er während der Sommermonate in einer kleinen Wohnung.

„Mi casa es tu casa“ R.

Am nächsten Morgen lerne ich Pilar kennen. Ihre haselnussbraunen Haare hat sie zu einem Zopf gebunden. Sie trägt eine beige Hose und eine weiße Bluse mit perfekt gestärktem Kragen. „Das ist meine Arbeitskleidung“, sagt sie schulterzuckend, weil ich sie wohl etwas zu lange gemustert habe. Pilar ist 28 Jahre alt und arbeitet in einem Hotel direkt am Strand. Ich erzähle ihr, von der Pferdekutsche mit der ich die Straßen Palmas erkundet habe, dem unfassbar guten Café con leche in einem Café mit drei Tischen, das ich in den verwinkelten Gassen der Stadt nie wieder finden würde, von dem kalten Bier mit Miguel am Hafen und dem weißen Sandstrand. Pilar schmunzelt und aus ihren Lippen ertönt ein langgezogenes „Pues.“ „Du hast das schöne Palma gesehen. Palma das wir lieben.“ Und mit wir meint sie die Einheimischen. Die Mallorquiner. Zwischen den Zeilen schwingt ein Lebensgefühl mit, das ich auch bei Miguel gespürt habe. Ein Hauch Melancholie, unglaublich viel Laissez-Fair, ein großes Freiheitsgefühl – was am Meer ja irgendwie immer so ist und die ganz große Sehnsucht. Ein bisschen wie der traurig-schöne Fado in Portugal.

In den verwinkelten Gassen lebt die Melancholie

Pilar nimmt mich mit in den Speisesaal, in dem gerade das Frühstück serviert wird. Für ein Hotel mit 240 Betten sieht dieser wirklich ansprechend aus. „Wir haben erst letztes Jahr renoviert“, ruft Pilar mit einem Tablett in der Hand und stellt mir einen Café con leche auf den dunkelbraunen Holztisch mit beiger Leinenserviette. Ein bisschen habe ich Gänsehaut, weil die Klimaanlage hier drinnen ganz gute Arbeit leistet. Ich rühre verträumt in meinem Kaffee und schaue durch eine streifenfrei polierte Glasfront auf die spiegelglatte Oberfläche des Pools. Gar nicht mal so übel. „Gleich geht es los, das große Fressen“, zwinkert mir Pilar zu. Tatsächlich stürmen immer mehr der Hotelgäste den Frühstücksraum, der gleichzeitig auch Mittagsessensraum und Abendessenraum ist. Ich beginne zu verstehen, wie beengt Pilars Arbeitsplatz ist und warum sie das Meer so liebt. Freundlich begrüßt sie jeden Gast. Manche sogar mit Namen. Räumt Teller von Tischen, die noch so voll sind, um eine vierköpfige Familie satt zu bekommen. Diese „Reste“ landen im Müll. „Die Augen sind immer größer als der Hunger“, sagt Pilar während sie Rührei und zwei Scheiben Brot in einen Behälter aus dunklem Plastik schiebt. „Gerade bei All-inklusive langen die Leute so richtig zu. Wollen alles probieren und können am Ende gar nicht alles essen“. Manchmal gibt es auch Themenabende im Hotel. Dann streift sich Pilar ein schwarzes Gewand mit einem roten Stoffgürtel, den sie auf Höhe ihrer Hüfte knotet, über, um das Japan-Feeling zu unterstützen. Wir müssen beide lachen, als sie mir ein Foto von sich und einem Gast in diesem Aufzug zeigt. Pilar hat ein schönes Lachen. Keine Spur von Verdruss oder gar irgendeine Form von Wut. Tagein tagaus räumt sie halbvolle Teller von den Tischen, um diese nur Minuten später wieder erneut einzudecken. Morgens. Mittags. Und abends. Dann geht sie nach Hause. Morgen früh müssen nämlich wieder Tassen und Teller auf Tische gestellt werden. Aber dazwischen, zwischen all den Tassen und Tellern passiert das, was sie „actidud frente a la vida“ nennt, was so viel wie Lebensgefühl heisst. Und genau das will sie mir jetzt zeigen. Pilar knöpft ihre weiße Bluse auf und hängt sie neben das Japan-Gewand, „für morgen“, sagt sie augenzwinkernd. Dann schlüpft sie eine Jeansshorts und wirft mir einen Helm entgegen. ¡Arriba!

Something old and something yellow

 

Wir fahren auf einem alten Roller, der nur so knattert und knarzt in der gerade einbrechenden Dunkelheit über die Küstenstraße nach Palma. Von rechts weht mir die warme Luft aus der Stadt entgegen, von links eine kühle Brise vom Meer und von vorne der Duft von Pilars Parfüm, die so rasant wie gefühlvoll in jede Kurve der verwinkelten Straße fährt. Vorbei an einem kleinen Hafen mit Fischerbooten, die gefährlich im Wind wanken. Den alten Herren, die auf Plasitkstühlen auf der Veranda sitzen wie die Hühner auf der Stange, Zigarren rauchen und schon ganz blaue Lippen vom Vino Tinto haben und dabei so unfassbar glücklich aussehen. Vorbei an einer wunderschönen Finca auf einem Felsvorsprung direkt am Meer. Die Frau hinter dem gelben Tor, von dem die Farbe schon etwas abgeblättert ist nickt mir lächelnd zu. Es riecht nach Salz, nassem Holz und ein bisschen fischig. Es riecht nach tanzenden Herzen und schäumender Gischt. Nach heißem Asphalt nach einem Sommergewitter und nach Oleander. Mit diesem Gefühlsoverload from head to toe manövriert Pilar den Roller durch eine gefährlich enge Gasse. „Gleich sind wir da“ sagt sie gegen den Fahrtwind und ich bin nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe. Klapprige Fensterläden nur einen fingerbreit von meinem Arm entfernt. Halbgeöffnete, gußeiserne Tore, die den Blick in die wunderschönsten Hinterhöfe freilegen. Oasen, mitten in der Stadt. Aus jeder Bodega ein fröhliches ¡Hola, Pilar! Qué tal? 

Radom Bodega in Palma – Pilar kennt jede(n)

Palmen, die aus Häusern wachsen, klirrende Gläser und Gitarrenklänge verschwimmen hinter einem angenehmen Teppich aus Stimmengewirr. Esto es. Nachdem wir zwanzig Minuten gefühlt nur bergauf gefahren sind, führt mich Pilar jetzt ein paar Stufen nach unten. Irgendwo in einen Hinterhof. Zwischen den Hauswänden blitzt gülden die Kathedrale hervor und hinter den zwei Palmen glitzert der Mond im Meer. Hach. Ich werde ganz vielen lächelnden Menschen vorgestellt, die alle wild durcheinander plappern. Und ich bin froh, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippt und mir ein Glas eiskalten Prensal Blanc in die Hand drückt. Hola, Miguel, sage ich und grinse dabei wie ein Honigkuchenpferd.

Where magic happens

Hinter einem winzigen Fenster mit weißen Fensterläden schneidet jemand hauchdünne Tranchen von einem Seranoschinken, der so groß ist wie mein Oberschenkel. Es duftet nach geröstetem Brot und Knoblauch. Es zischt, als jemand einen ganzen Fisch auf den kleinen Grill in der Ecke wirft. Dieser jemand ist natürlich ein Mann und hat den Fisch selbst gefangen. Mit bloßer Hand. „Hola Guapa“, sagt Rodrigo und das „g“ hört sich wieder wie ein „w“ an und drückt mir einen Kuss auf die Wange.

Und dann sitzen wir alle zusammen auf klapprigen Holzstühlen, essen Pa amb oli und trinken mallorquinschen Weißwein. Manchmal kann man Happiness eben doch essen. Ich glaube, ich kann das Meer in der Ferne rauschen hören, aber vielleicht ist das auch nur das Glück, das durch meinen Körper strömt.

 

© Julia

 

Her mit dem schönen Leben!

Backyards I love

La Seu de Palma

Schattenspiele & sattes Grün

#desicions

Dieses Seil bietet Schutz vor dem gefährlichen Felsvorsprung. Obacht!

Blumen. Immer schön.

Pilars working space

Manchmal ist der Weg steinig & schwer

Looking up

Sundowner with a view

Radln all along the shore

Shabby chic

Life is better at the beach

Café con leche

Ride it, my pony

Hinterlands

Ciao

 

* Vuelvo. Cierto.

 

Halb. Leer.

Inspiration, Kolumnen

Und dann bin ich einfach los geradelt. Entlang am Meer, vorbei an steilen Küsten und schroffen Felsen. Über klapprige Brücken durch versteckte Buchten. Über Stock und Stein. Und manchmal auch über gestrandete Herzen. Dort hin, wo die Menschen weniger werden und der Wind stärker. Ich trete in die Pedale. Fester und schneller und hinter jeder Kurve vermute ich den Fels in der Brandung. Doch es sind nur ein paar angeschwemmte Algen. Verknotet und verworren. Wie meine Haare bei all dem Wind. Und auch innen drin. Eher Kaugummi als Gummitwist. Aber es gibt kein zurück, denn mein Fahrrad besitzt keinen Rücktritt. Es geht ja immer nur vorwärts. Gegen den Wind. Also trete ich weiter. Die Gischt klatscht mir ins Gesicht und meine Wangen brennen. Warum ist das Meer so beständig? Die Wellen kommen und gehen und bilden einen angenehmen Geräuschteppich, der mich sanft umarmt. Die Stimmen in meinem Kopf werden leiser und mein Herz pumpt im gleichen Rhythmus Blut durch meinen Körper wie es Wellen an den Strand spült.

Es wird schlagartig dunkel und dicke Wolken schieben sich vor den Horizont. Vielleicht habe ich auch einfach nur die Zeit vergessen, bei all dem Sand der durch meine Finger rinnt. Und dann fängt es mitten auf der Sonneninsel an zu regnen. Erst nur ein bisschen, also fahre ich weiter entlang am Meer, das nun irgendwie so gar nicht mehr ruhig ist. Später werden die Reste der Mascara dunkle Striche in meinem Gesicht hinterlassen. Meine Hose klebt unangenehm auf meiner Haut und bei jedem Tritt knatscht es in meinen Schuhen. Unter ein paar dürftig zusammengehämmerten Holzbalken zwischen denen es nur so tropft und flattert finde ich Unterschlupf. Denn es hat sich eingeregnet. Links, rechts, über ja sogar unter mir nichts als graue Regenwolken. Ich sitze hier fest und habe nichts zu tun. Selbst wenn ich wollte. Kein Handy, kein Internet, kein Buch ja nicht einmal den Luxus von Stift und Papier. Meine Hauptbeschäftigung ist es, dem Regen beim Fallen zuzuschauen. Also sitze ich hier und tue nichts außer denken und selbst das ist zu viel. Was irgendwie befreiend ist. Und gut. Weil man Dinge ja auch einfach mal hinnehmen muss. Wie sie kommen und wie man sie nicht ändern kann. Anstatt machtlos zu sitzen und zu schauen was passiert machtvoll akzeptieren, dass überhaupt irgendetwas passiert. Denn nichts ist doch schlimmer als gar nichts. Zum Bespiel die flache Linie auf dem EKG.

Wenn alle anderen das Lager bereits verlassen haben und man selbst sitzen bleibt. Weil dieses Nichtstun und nichts denken so unfassbar gut tut. Weil es befreit von all den Konten in den Leitungen, die man so hat. Eine Lethargie der Gedanken. Eine Aneinanderreihung von Sekunden, die schöner nicht sein könnten. Eine Leere, die zu einer Erfüllung wird. Und dann sind zwei Stunden rum, was immerhin hundertzwanzig Minuten sind. Siebentausendzweihundert Sekunden und man sitzt. Man sitzt. Harrt aus. Wird eins mit dem Holz auf dem man sitzt und hofft insgeheim, dass etwas von dessen Patina abfärbt. Nur ein Hauch Nostalgie. Und etwas von dieser beständigen Beharrlichkeit. Alles einfach mal hinzunehmen. Und dann spürt man auf einmal so ein unfassbares Glück. Eine Wärme, die sich vom Bauch heraus im gesamten Körper ausbreitet. Von den Zehenspitzen bis zu den Augenbrauen. Und man weiß gar nicht woher das alles kommt und wo das alles hin soll. Es tropft und quillt nur so wie die Regenrinne nach dem heftigen Gewitter.

Aber wenn es schon mal da ist, dieses Gefühl, bittet man es herein. Wie man das halt so macht, wenn ungebetene Gäste so laut vor der eigenen Türe poltern. Vielleicht einen Keks zum Tee? Manchmal will man nämlich gar nicht glücklich sein. Sondern sich suhlen in einem Gefühl zwischen Weltschmerz und Wurzelbehandlung. Einfach so. Möchte man den Halb-Voll-Gläsernen einen Schluck aus ihrem Glas stibitzen. Oder zwei.

Und während man da so sitzt, schwitzt und sich nicht sicher ist, ob es vielleicht doch der Regen ist, realisiert man, dass alles irgendwann vorbei ist. Auch das Gute. Und manchmal auch einfach nur der Regen.

 

© Julia

Tomatensalat ohne Tomaten.

Kolumnen

Mit dem Alter ist das ja so eine Sache. Ist man jung, macht man sich kaum Gedanken darüber, ist man alt, macht man sich ganz viele Gedanken darüber. Dazwischen eine beachtliche Anzahl an Jahren, die sich Leben nennt. Ich persönlich ging mit zarten 16 Jahren davon aus, dass man mit 30 alt ist. Alt im Sinne von erwachsen und allen Klischees, die halt so dazugehören. Ein fester Job, einen festen Freund und ein Zuhause, das nicht aus einem Kleiderhaufen und einer Spüle voller dreckigem Geschirr besteht. Bei mir sind die angetrockneten Pastareste auf meinem Teller manchmal das einzige, das fest ist. Immerhin aber auf einem ASA Teller. Das Schöne am Älterwerden ist ja, das man sich mit einem regelmäßigen Einkommen, das auf ein festes (yeah) Konto überwiesen wird auch mal etwas leisten kann. Und sei es nur einen schönen Teller auf dem die Frust-Pasta nach einem stressigen Bürotag gleich doppelt so gut schmeckt oder eine spontane Flugbuchung. Ganz nach dem Motto: Augen zu. Karte durch. Und das, ohne danach Spaghetti mit Ketchup als (s)eine Hauptmahlzeit betiteln zu müssen, weil am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig ist. Dieses ganze Geld- und Job-Gehabe hat schon auch seine Annehmlichkeiten – wie man´s dreht und wendet, ein bisschen Freiheit kann man sich schon kaufen. Irgendwie. Aber vielleicht braucht man sie auch mehr als zuvor, als die Tage aus Kaffeepausen zwischen Seminarschwänzen und Semesterferien bestanden.

Die angetrockneten Pastareste auf meinem Teller sind manchmal das einzige, das fest ist.

Eine Sache, die aber immer wieder ins Bewusstsein rückt ist die Tatsache, dass man gewisse Dinge erst zu schätzen weiss, wenn sie vorüber sind. Das ist irgendwie urmenschlich. So sehr, dass ich manchmal an die Schulzeit zurückdenke und mir in den Sinn kommt, dass es gar nicht mal so übel war, um 13 Uhr nach Hause zu kommen und nach Mamas Mittagessen (das natürlich nie das Richtige war) ein bisschen Hausaufgaben zu machen. Neulich bin ich spät aus dem Büro gekommen und noch im Flur über eine dunkelblaue Kiste gestolpert, die ich hätte eigentlich längst in den Keller räumen wollen. Neben ein bisschen Staub, wirbelten die herausfliegenden Fotos auch einen Hauch Vergangenheit mit auf. Abifeier. Urlaub 2008 in Griechenland. Zeltlager 1999. Abendessen mit den Mädels 2010. Kurztrip nach Paris 2015. Immer wieder ich. Immer wieder anders und doch irgendwie ich. Und gar nicht mal so übel. Ich muss schmunzeln, weil ich mich noch genau daran erinnere, wie unglaublich hässlich mich in diesem Bikini am Strand von Kreta gefühlt hatte und meine verquollenen Augen als Relikt eines Heulkrampfes nur hinter einer riesigen Sonnenbrille verstecken konnte. Das Kleid, in dem ich partout nicht das Hotel verlassen wollte. Oder das Essen mit den Mädels. Für mich bitte einen Tomatensalat ohne Tomaten. Weil mal wieder (vermeintlich) ein paar Pfund zu viel über den Bund der Skinny Jeans ragten. Und nun bin ich dreißig und nehme und ersten Mal mein Alter bewusst wahr. Zum einen, weil einem das permanent suggeriert wird und man sich dadurch selbst unnötig Stress macht. 30 hier. 30 da. Oh, oh, helft-mir-über-die-Straße-dreißig. Nein und besonders auch, weil ich zum ersten Mal die Zeichen der Zeit spüre. Wenn ich morgens aufwache, legen sich feine Linien um meine Augen und ein (naja, zwei) graue Haare winken mir aus dem Spiegel entgegen. Aber auch innerlich, weil mein Arzt mir zu gewissen Vorsorgeuntersuchungen rät.

Und nun bin ich 30 und nehme mein Alter zum ersten Mal bewusst wahr

Da sitze ich also spätabends in Bürokluft in meinem kalten Flur auf dem Fußboden und denke, wie schön ich doch in dem Bikini am Strand von Kreta aussehe. Wie toll das Kleid in dem Café in Paris zur Geltung kommt und wie gut meine Jeans auf dem Foto mit dem Mädels sitzt. All das habe ich zu den Zeitpunkten, in denen die Bilder entstanden sind niemals so gesehen. Jetzt, Jahre später erkenne ich die Schönheit dessen, was ich damals verteufelt habe. Ich lasse meine müde Augen zu der Kommode im Esszimmer wandern. Dort stehen die Worte „all we have is now“ gerahmt in schwarzem Holz. Und Kinners, so ist es. Das Älterwerden macht es unglaublich schwer, im Moment zu leben. Weil es so vieles zu beachten und zu erledigen gibt und ein Moment den nächsten jagt. Wir sollten viel mehr schätzen und würdigen, was wir haben. Jetzt und immer. Ich hatte den tollen Glow, den ich vor sieben Jahren hatte nie als solchen wahrgenommen. Und ja, älter zu werden spiegelt sich sowohl im Aussehen, der Gesundheit und zum Glück auch im Gedankengut wider. Im Herzen des Älterwerdens steht doch – neben der zuweilen melancholischen und wunderschönen Retrospektive – eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst. Und wenn die Aktivierung dieser Gedanken dazugehört, dann werde ich gerne älter. Wenn nicht gar alt. Und wenn ich in 20 Jahren ein Foto von mir betrachte, wie ich hier auf dem Fußboden im Flur sitze und Fotos in der Hand halte, werde ich denken, mensch, was war ich jung und wie glücklich sah aus. Ich hatte ja keine Ahnung. Und das hatte ich tatsächlich nicht.

Manchmal finde ich meine Hände etwas schrumplig und dann denke ich daran, was die schon alles getragen, gehalten, gestreichelt, gebacken, umgetopft, geknetet, gewaschen, gestriegelt, herausgezogen, entdeckt, berührt und losgelassen haben. Ich bin dann nicht mehr traurig und lächle meinem Spiegelbild entgegen und freue mich über jede einzelne Minifalte, die mich zu dem Menschen macht der ich bin. Mit allem Erlebtem, Erfahrenem und Widerfahrenem. Das ist ja eigentlich selbstverständlich. Aber man kann es nicht oft genug sagen.

Wer definiert denn eigentlich, was alt und was jung ist? Am Ende sind das ja alles bloß Zahlen. Und die sind ja bekanntlich unendlich.

 

© Julia

Grenadine.

Prosa

Ich sitze im Schneidersitz vor dem Fenster und pule die Fusseln von meinem Wollpullover. Manche Dinge kann man ganz einfach abstreifen. Kleidung, Manieren oder eben Fusseln. Dein Geruch hingegen steckt ganz tief in meiner Nase. Ich beiße immer wieder in das Stück Zitrone in meinem Tee, obwohl mir jedes Mal die Gesichtszüge entgleisen aufgrund der Säure. Überhaupt mag ich süß viel lieber als sauer. Oder scharf. Mitohne. Immer. Du.

Wenn der Wind aus Südwest weht, drücke ich mein Ohr ganz fest auf deine linke Brust und lausche dem Konzert der Bässe. Unter all den Muskeln und Haaren schlägt tatsächlich ein Herz und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass es das nur mich tut. Für uns. Für diesen einzigen Moment Ewigkeit.

Die Jahre vergehen, aus Rosa wird Rot und alles bekommt mehr Farbe. Die Bäume mehr Ringe und die Linien um unsere Augen werden tiefer. Ich solle nicht in der Vergangenheit leben, sagen sie. Aber was ist, wenn du meine Zukunft bist? Wenn du alles bist, was dieser jämmerlichen Anhäufung von Zellen einen Sinn gibt? Nicht, weil ich mir das so ausgesucht hätte, sondern weil es so ist. Verstehst du, wie das unangenehme Stechen, wenn man zu hastig ein Getränk mit zu viel Kohlensäure trinkt. Ein kurzer, fieser Schmerz, der dir die Luft zum Atmen nimmt und sich bis in den Magen ausbreitet. Bloß Millisekunden – dann ist es vorbei. Und du wirst es immer wieder tun, weil der Mensch ja nun mal trinken muss. Und sind es nicht immer die Sekunden im Leben, die es zu dem machen, was es ist. Aneinandergereihte Entscheidungen, Zufälle – vielleicht alles ein perfider Plan? Wer weiss das schon. Hat man denn überhaupt eine Wahl? Ich hätte links abbiegen können. Dann hätte es dieses kleine Lächeln nicht gegeben. Diese zwei Sekunden, nach denen nichts mehr so ist wie es war oder sein wird. Und immer wenn ich die Liebeskarte ziehe, ist dein Antlitz darauf zu sehen – dabei führen so viele Wege nach Rom. Die staubige Landkarte liegt seit Jahren verknittert im Handschuhfach. Es fühlt sich immer noch so an, als ob die beste Zeit unsere war. Deine Hand auf meinem Knie und warmen Wind in den Haaren. Der hat sich ganz fies in den Gehirnwindungen verfangen und heute beschlägt meine Brille, weil meine Gedanken so heiß laufen.

Und dann esse ich mitten im tiefsten Winter diese ökologisch völlig inkorrekten Heidelbeeren, um wenigstens ein bisschen etwas von dem verblassten Gefühl einfangen zu können und dann schmecken sie mir nicht einmal. Weil keine Zeit für Romantik bleibt, weil du gelernt hast dem Wind zu trotzen auch wenn dir dieser verdammte Spiri-Tee sagt, du sollst auf dein Gefühl vertrauen und du es aber partout nicht finden kannst zwischen all den Splittern. Dann sitze ich mit roten Granatapfel Spritzern auf meinem weißen T-Shirt da, was eigentlich deins ist. Und stelle fest, dass es mein Herz ist, das übergelaufen ist. Keine Spuren des Liebesapfels. Ich eile auf den Balkon, weil es nur so quillt und spritzt und die Sauerei will ja auch immer keiner aufwischen. Purpurne Tropfen auf weißem Schnee. Schneewittchen. Ist die nicht an einem Apfel erstickt? Weisst du, ich vermisse dich manchmal so sehr, dass ich das Gefühl habe zu ersticken, obwohl ich keine Äpfel esse. Nicht im Winter und auch sonst nicht. Aber das Gefühl von dem warmen Wind in meinen Haaren, das werde ich nicht los. Und immer wenn der Wind aus Südwest weht, drücke ich mein Ohr ganz fest auf deine linke Brust und lausche dem Konzert der Bässe. Unter all den Muskeln und Haaren schlägt tatsächlich ein Herz und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass es das nur mich tut. Für uns. Für diesen einzigen Moment Ewigkeit.

 

© themagnoliablossom

Schnitzeljagd.

Prosa

Ich puste die Kerze aus und wünsche mir, dass alles gut wird. Weil ich das immer tue. Ein bisschen Vertrauen müsse ich schon habe, hast du zu mir gesagt, wenn kristallklare und salzige Tränen über meine kalten Wangen liefen – ein bisschen mehr Vertrauen. In das Leben. Allgemein und im Speziellen. Jetzt wo du nicht mehr da bist, fällt mir das sehr schwer. Vertrauen also, sage ich leise und wische mir die Tränen aus dem Gesicht. Wenn sich das Jahr dem Ende neigt, wenn die Bäume ganz schleichend kahl werden und ganz plötzlich Winter ist, kommen auch die Gedanken. An das was da war und ist und noch kommen mag. Was noch vor ein paar Monaten hinter luftigen Kleidchen und Sonnenbrillen verborgen blieb, was durch dieses angenehme Kribbeln nach einem eiskalten Bier hirntot gemacht wurde, ist auf einmal so real und so da wie der erste Frost. Er macht es einem nicht leicht, der Winter. Ich wünsche mir eine fein pudrige Schneedecke, die all das ganz lautlos umhüllt. Sanft und schützend. Der eisige Wind peitscht mir um die Ohren und ich gehe tapfer weiter. Vertrauen, also.  Ich ritze deinen Namen auf eine angefrorene Autoscheibe und komme mir dabei wie ein Teenie vor. Damals konnte ich nicht glauben, dass es nach dem ersten Liebeskummer jemals wieder besser würde. Dass dieses Ziehen in der Brust und diese ständige Übelkeit jemals aufhören würden. Alles geht vorüber und es geht immer weiter. Und manchmal macht mich das traurig. Weil man gar nicht mehr innehält, genießt und jeden noch so kleinen Moment konserviert und das Traurigsein auch mal so richtig zelebriert. Menschen kommen und gehen. Manche hinterlassen Spuren, andere Lücken.

Und dann gibt es dich. Eine unendliche Schnitzeljagd über meinen gesamten Körper durch all die Krater und Täler. Von Zeit zu Zeit werden die so kräftig durchgespült und das salzige Wasser rundet die spitzen Ecken etwas ab. Die stechen dann nicht mehr so in die Eingeweide. Das ist gut. Menschen kommen und gehen. Aber was ist, wenn manche Menschen nicht gehen? Wenn sie da sind, obwohl sie fort sind? Erinnerungen, konservierte Gerüche, Berührungen, die sich ganz fies auf die roten Blutkörperchen krallen und mit jedem Herzschlag im ganzen Körper verteilt werden. Ist das überhaupt erlaubt? Oder läuft das schon unter Doping? Du schaust jeden Tag in den Spiegel und nichts ist anders. Und dann entdeckst du zwischen all dem Müll ein altes Foto und realisierst, dass alles anders ist. Das Gehirn ist sowas von machtlos gegen das Herz. Eine Farce.

Manchmal, wenn ich durch ein Möbelhaus schlendere, ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass sich dies oder jenes gut in unserem Haus machen würde. Eine Vase für die Vitrine im Flur oder ein neuer Bezug für das Kissen auf dem alten Sessel. Es ist nur ein kurzer, unüberlegter Moment. Ich streiche gedankenverloren über die Sofabezüge, fühle den Stoff der Bettwäsche und wünsche mir mit dir in den Laken zu liegen. Den Duft deiner Haare einzuatmen und meine Gesicht ganz fest an dein linkes Schulterblatt drücken. Einfach so. Aber so einfach ist das natürlich nicht.

Anstatt der Bettwäsche kaufe ich eine große Packung Kerzen. Bei jedem Auspusten werde ich sagen alles wird gut. Und es auch glauben. Denn mit Kerzen ist es ja so wie mit Erinnerungen. Man kann nie genug davon haben.

 

© Julia

 

 

Geschmolzene Butter.

Prosa

Es riecht nach geschmolzener Butter als ich meine Augenlider öffne. Die Türe ist genau einen Spalt weit auf, so dass ich dich vor dem Herd stehen sehe. Es gibt wenig, was mehr Wohlgefühl in mir auslöst als der Geruch von geschmolzenem Fett. Goldgelb in der Pfanne, riecht es nach Kindheit, Heimat und ganz viel Liebe. Was heute verteufelt wird, war früher das besondere Etwas. Die Zeiten ändern sich, denke ich mir und ich strecke einen Zeh unter der Bettdecke hervor. Das Herbstlicht blitzt zwischen den leichten Vorhängen hindurch und taucht dich ein wunderschönes Licht, fast golden – wie die Butter. Du trägst nur deine karierte Boxershorts und wenn du dich auf Zehenspitzen stellst, um an den Zucker ganz oben im Regal zu kommen wird aus deinen Waden eine Berglandschaft. Du schlägst vier Eier in eine Schüssel und gibst etwas von dem Zucker dazu. Als du bei dem Mehl angelangt bist, wirbelst du ein bisschen zu heftig mit deinem Schneebesen umher, sodass meine Sicht durch eine riesige Mehlwolke versperrt wird. Ich muss kichern, rolle mich auf die Seite und stelle mich schlafend. Nur ungern möchte ich dich bei deinen Vorbereitungen stören. Es zischt als der Teig langsam in die Pfanne gleitet. Mit einem Schwung versuchst du den Fladen zu wenden. Dein Oberarm spannt sich dabei so herrlich an, dass mir ganz warm wird. Ziischhhh – die zweite Kelle Teig findet ihren Weg in das heiße Fett. Es riecht so unglaublich gut, dass ich am liebsten sofort aufstehen möchte und davon naschen. Von dir. Du brühst Kaffee auf und streichst dir mit deiner Mehlhand durch die Haare. Hey, sag mal weisst du eigentlich, wie schön du  bist, denke ich mir noch  – ganz benebelt von all den Gerüchen – sage ich aber dann doch nicht. Du gießt Ahornsirup über den in Fett gebackenen Teig und ich habe noch nie solch schöne Pfannenkuchen gesehen. Ich schnappe mir die Croissants und setze mich im Schneidersitz auf das Bett. Voller Mehl und mit Sirup um den Mund stellst du das Tablett auf den kleinen blauen Tisch. Du machst eine Kunstpause und drehst dich mit einem Ruck zu mir, wirfst mich in die Laken zurück und drückst mir einen Kuss auf den Mund. Ich bekomme kaum Luft zwischen all dem Mehl, aber es ist das Süßeste, was ich je probiert habe. Vielleicht liegt das an dem Ahornsirup. Vielleicht aber auch an dir. Ich tauche mein Croissant in die geschmolzene Butter und dann essen wir Kohlenhydrate mit Kohlenhydraten und Fett. Einfach so. Und das ist das Schönste, was ich seit langem gemacht habe.

 

© Julia