Tomatensalat ohne Tomaten.

Kolumnen

Mit dem Alter ist das ja so eine Sache. Ist man jung, macht man sich kaum Gedanken darüber, ist man alt, macht man sich ganz viele Gedanken darüber. Dazwischen eine beachtliche Anzahl an Jahren, die sich Leben nennt. Ich persönlich ging mit zarten 16 Jahren davon aus, dass man mit 30 alt ist. Alt im Sinne von erwachsen und allen Klischees, die halt so dazugehören. Ein fester Job, einen festen Freund und ein Zuhause, das nicht aus einem Kleiderhaufen und einer Spüle voller dreckigem Geschirr besteht. Bei mir sind die angetrockneten Pastareste auf meinem Teller manchmal das einzige, das fest ist. Immerhin aber auf einem ASA Teller. Das Schöne am Älterwerden ist ja, das man sich mit einem regelmäßigen Einkommen, das auf ein festes (yeah) Konto überwiesen wird auch mal etwas leisten kann. Und sei es nur einen schönen Teller auf dem die Frust-Pasta nach einem stressigen Bürotag gleich doppelt so gut schmeckt oder eine spontane Flugbuchung. Ganz nach dem Motto: Augen zu. Karte durch. Und das, ohne danach Spaghetti mit Ketchup als (s)eine Hauptmahlzeit betiteln zu müssen, weil am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig ist. Dieses ganze Geld- und Job-Gehabe hat schon auch seine Annehmlichkeiten – wie man´s dreht und wendet, ein bisschen Freiheit kann man sich schon kaufen. Irgendwie. Aber vielleicht braucht man sie auch mehr als zuvor, als die Tage aus Kaffeepausen zwischen Seminarschwänzen und Semesterferien bestanden.

Die angetrockneten Pastareste auf meinem Teller sind manchmal das einzige, das fest ist.

Eine Sache, die aber immer wieder ins Bewusstsein rückt ist die Tatsache, dass man gewisse Dinge erst zu schätzen weiss, wenn sie vorüber sind. Das ist irgendwie urmenschlich. So sehr, dass ich manchmal an die Schulzeit zurückdenke und mir in den Sinn kommt, dass es gar nicht mal so übel war, um 13 Uhr nach Hause zu kommen und nach Mamas Mittagessen (das natürlich nie das Richtige war) ein bisschen Hausaufgaben zu machen. Neulich bin ich spät aus dem Büro gekommen und noch im Flur über eine dunkelblaue Kiste gestolpert, die ich hätte eigentlich längst in den Keller räumen wollen. Neben ein bisschen Staub, wirbelten die herausfliegenden Fotos auch einen Hauch Vergangenheit mit auf. Abifeier. Urlaub 2008 in Griechenland. Zeltlager 1999. Abendessen mit den Mädels 2010. Kurztrip nach Paris 2015. Immer wieder ich. Immer wieder anders und doch irgendwie ich. Und gar nicht mal so übel. Ich muss schmunzeln, weil ich mich noch genau daran erinnere, wie unglaublich hässlich mich in diesem Bikini am Strand von Kreta gefühlt hatte und meine verquollenen Augen als Relikt eines Heulkrampfes nur hinter einer riesigen Sonnenbrille verstecken konnte. Das Kleid, in dem ich partout nicht das Hotel verlassen wollte. Oder das Essen mit den Mädels. Für mich bitte einen Tomatensalat ohne Tomaten. Weil mal wieder (vermeintlich) ein paar Pfund zu viel über den Bund der Skinny Jeans ragten. Und nun bin ich dreißig und nehme und ersten Mal mein Alter bewusst wahr. Zum einen, weil einem das permanent suggeriert wird und man sich dadurch selbst unnötig Stress macht. 30 hier. 30 da. Oh, oh, helft-mir-über-die-Straße-dreißig. Nein und besonders auch, weil ich zum ersten Mal die Zeichen der Zeit spüre. Wenn ich morgens aufwache, legen sich feine Linien um meine Augen und ein (naja, zwei) graue Haare winken mir aus dem Spiegel entgegen. Aber auch innerlich, weil mein Arzt mir zu gewissen Vorsorgeuntersuchungen rät.

Und nun bin ich 30 und nehme mein Alter zum ersten Mal bewusst wahr

Da sitze ich also spätabends in Bürokluft in meinem kalten Flur auf dem Fußboden und denke, wie schön ich doch in dem Bikini am Strand von Kreta aussehe. Wie toll das Kleid in dem Café in Paris zur Geltung kommt und wie gut meine Jeans auf dem Foto mit dem Mädels sitzt. All das habe ich zu den Zeitpunkten, in denen die Bilder entstanden sind niemals so gesehen. Jetzt, Jahre später erkenne ich die Schönheit dessen, was ich damals verteufelt habe. Ich lasse meine müde Augen zu der Kommode im Esszimmer wandern. Dort stehen die Worte „all we have is now“ gerahmt in schwarzem Holz. Und Kinners, so ist es. Das Älterwerden macht es unglaublich schwer, im Moment zu leben. Weil es so vieles zu beachten und zu erledigen gibt und ein Moment den nächsten jagt. Wir sollten viel mehr schätzen und würdigen, was wir haben. Jetzt und immer. Ich hatte den tollen Glow, den ich vor sieben Jahren hatte nie als solchen wahrgenommen. Und ja, älter zu werden spiegelt sich sowohl im Aussehen, der Gesundheit und zum Glück auch im Gedankengut wider. Im Herzen des Älterwerdens steht doch – neben der zuweilen melancholischen und wunderschönen Retrospektive – eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst. Und wenn die Aktivierung dieser Gedanken dazugehört, dann werde ich gerne älter. Wenn nicht gar alt. Und wenn ich in 20 Jahren ein Foto von mir betrachte, wie ich hier auf dem Fußboden im Flur sitze und Fotos in der Hand halte, werde ich denken, mensch, was war ich jung und wie glücklich sah aus. Ich hatte ja keine Ahnung. Und das hatte ich tatsächlich nicht.

Manchmal finde ich meine Hände etwas schrumplig und dann denke ich daran, was die schon alles getragen, gehalten, gestreichelt, gebacken, umgetopft, geknetet, gewaschen, gestriegelt, herausgezogen, entdeckt, berührt und losgelassen haben. Ich bin dann nicht mehr traurig und lächle meinem Spiegelbild entgegen und freue mich über jede einzelne Minifalte, die mich zu dem Menschen macht der ich bin. Mit allem Erlebtem, Erfahrenem und Widerfahrenem. Das ist ja eigentlich selbstverständlich. Aber man kann es nicht oft genug sagen.

Wer definiert denn eigentlich, was alt und was jung ist? Am Ende sind das ja alles bloß Zahlen. Und die sind ja bekanntlich unendlich.

 

© Julia

Der Bügler.

Prosa

Sanft gleitet das Bügeleisen über den Kragen meiner Bluse. Wie von Zauberhand verschwinden die winzigen Knitterfältchen. Das heiße Eisen kuriert das Schleudertrauma, das das Stück Stoff erlitten hat. Manchmal vergesse ich es nämlich in der Waschmaschine. Dann liegt das da ein paar Stunden oder manchmal auch Tage. Nass, zerknittert, zurückgelassen. Einsam und vergessen. Ein elendes Dasein.

Und dann kommt da jemand und gibt ihm ein klitzekleines bisschen Wärme, streicht behutsam über die Ecken und Kanten. Die Anspannung löst sich, die knittrige Oberfläche wird wieder ganz eben und glatt. Das wollen wir doch, oder? Dass alles ebenmäßig ist. Makellos. Nahezu perfekt. Du bist es. Aber nur an der Oberfläche und auch nur fast. Wenn man hier und da ein bisschen kratzt und es dazuhin noch regnet, dann bröckelt sie ganz schön, die Fassade. Aber irgendwie ist da immer jemand, der hinter dir herläuft und die Splitter aufsammelt, die du hinterlässt und sie auf wundersame Weise wieder zusammenflickt. Eine knarzige Oberfläche, ein vages Gerüst, gebaut aus Bruchstücken. Du weisst das, aber du bist ein guter Bügler. Denn deine Oberfläche erstrahlt immer in dieser schrecklich schönen Ebenmäßigkeit, die mir zuweilen Angst bereitet. Denn ich kann mir nicht einmal die Nägel lackieren, ohne zu patzen.

Genau das gefiel dir. Dass der Pinsel immer einen Hauch neben der Spur war, kaum merklich, aber wahr. Keine Geduld, dem Lack die Zeit zu geben, die er für einen perfekten Auftrag benötigt hätte. Immer direkt aus der Mitte, links. Das Herz schneller als der Verstand, hast du immer gesagt. Das kann sehr schön sein. Aber auch sehr gefährlich. Das weiss ich. Du warst der Meinung, dass mir diese Nuance an Unbeholfenheit etwas Ehrliches, Authentisches verlieh. Eine gewisse Grazie, die dir den Verstand raubte.

Ich frage mich, ob jemand dessen Oberfläche immer so fürchterlich glatt ist, das überhaupt beurteilen kann. Die Knoten und die Windungen. Verwoben. Miteinander. Verknotet. Verworren. Ganz tief, innendrin. Aber wenn du sagst, dass du bei mir und mit mir du sein kannst, ist es das, was mich ein bisschen stolz macht. Wenn meine Imperfektion auf dich abfärbt, dich weich zeichnet, deine Konturen verwischt, die Grenzen auflöst, uns verbindet und du als verknotetes Etwas vor mir stehst. Ganz pur, nur du. Nackt. Das faltenfreie Korsett abgestreift und feinsäuberlich auf einen Kleiderbügel gehängt. So willst du sein, aber du kannst es nicht. Nur mit mir, an deiner Hand. Wieso bist du hier und ich dort. Fort. Über den Bergen. Nicht bei den sieben Zwergen. Ich beiße in den (sauren) Apfel und er bleibt mir im Halse stecken. Manchmal nimmst du mir die Luft zum Atmen, weisst du das? Immer findest du einen Weg in mein Labyrinth aus wirren Gedanken. Nistest dich ein, für Tage, manchmal auch Wochen. Ziehst die Fäden ein bisschen enger, nur um dir dann dein gebügeltes Hemd von der Stange zu nehmen und deinen geschundenen Körper in diese unerträgliche Perfektion zu hüllen.

Deine Augen sehen so traurig aus, wenn sich unsere Hände in Zeitlupe voneinander lösen. Wenn du zurück in deine Welt kehrst, in deinen goldenen Käfig. Dann sitze ich vor der Wachmaschine und schaue dem Stück Stoff hinter dem Bullauge zu. Ich sehe seelenruhig zu, wie es ein Schleudertrauma erleidet. Und nass und zerknittert in den Schaumresten liegen bliebt. Ein elendes Dasein.

Und manchmal sitze ich da und frage mich, wie ich bloß all die Falten und Knitter aus meiner Bluse bekommen soll. Denn ich besitze gar kein Bügeleisen.

 

© Julia

Hauptdarsteller.

Prosa

Du hast da diese kleinen Fältchen, wenn du lächelst. Wie ein Fächer legen sie sich um deine Augen. Ein physischer Ausdruck deiner Reife als Sinnbild deiner Worte. Wie lange ist es her? Drei oder vier Jahre? Sind es doch schon fünf? Die Zeit rennt ja. Immer. Deine Gestik und das Timbre in deiner Stimme ist noch dasselbe wie damals. Aber irgendetwas ist anders, als wir uns an diesem Spätsommernachmittag treffen. Zufällig. Weil das irgendeine rote Ampel und ein verspäteter Termin so entschieden hat. Die Sonne steht schon tief und das warme Licht umhüllt dich mit einem goldenen Schimmer. Du bist so schön. Am liebsten möchte ich deine samtig aussehende Haut berühren, nur um sicher zu gehen, dass sie das tatsächlich noch ist. Diese Sekunde der Begegnung kommt mir vor wie ein Film mit Überlänge. Knatternd läuft der alte Film über die Rolle. Ein bisschen staubig, die Farbe fehlt. Aber der Hauptdarsteller bist noch immer du. Nach all den Jahren. Aus den Augen aus dem Sinn. Ich versuche mich an den Schmerz von damals zu erinnern, aber er mag nicht kommen. Ich fühle ihn nicht.

Irgendetwas ist anders. Es ist der Ausdruck in deinen Augen, es ist die bedachte Wahl deiner Worte und die Fähigkeit mir in Augen zu schauen, während du mit mir sprichst. Du hauchst mir einen Kuss auf die Wange und der Film reißt. Ich weiss nicht, wie lange wir an dieser Straßenecke stehen während du mir von deinem Leben erzählst. Erwachsen geworden bist du, sage ich. Und ein Hauch von Erstaunen liegt in meiner Stimme, oder ist es Bewunderung? Dass du all das vor dem du immer Angst hattest, nun in Angriff genommen hast? Dich dem gestellt hast, wovor du jahrelang davongelaufen bist? Ein bisschen Stolz bin ich, obwohl es nicht mein Verdienst ist. Irgendetwas ist anders. Vielleicht ist es der kühle Wind, der den nahenden Winter ankündigt. Ein Vorbote. Du fragst mich nach meinen Wünschen und was ich denn so will vom Leben. Jetzt und im nächsten Jahr und überhaupt. Ich atme tief ein und ein kleines, kaum merkliches Funkeln in deinen sonst so dunklen Augen verrät mir, dass du es längst weisst. Ich frage mich, ob das je aufhört. Wie ein Fluch, der auf uns lastet. In Wellen zieht er seine Bahnen. Ein regelrechter Strudel und es gibt kein Entkommen. Doch wenn wir uns hineinwagen, ertrinken wir, noch bevor wir Seepferdchen sagen können. Aber haben wir denn eine Wahl? Hatten wir denn je eine Wahl?

Manchmal, wenn es regnet, denke ich an dich. Und mit dem kühlen Wind zieht dann auch immer ein bisschen Wehmut ein und wirbelt den Staub auf, mit dem die alten Fotos überzogen sind. Ich liege in meinem Bett und lasse die Zeit einfach so verstreichen und zähle die Putzkörnchen an der Wand. Manchmal habe ich auch ein Ziehen in der Burst. Vornehmlich links.

 

© themagnoliablossom

Körpersprache

Inspiration, Prosa

Manchmal, wenn sie aufwacht und die feinen Kringel unter ihren Augen, die etwas zu tiefen Furchen an der Stirn ihr unweigerlich klar machen, dass der letzte Drink nicht hätte sein müssen. Das alles nicht hätte sein müssen.