11,2 ° C

Prosa

Ich sitze am Küchentisch und knibble etwas Haut seitlich von meinem Daumennagel. Ein Zeichen, dass es wieder Herbst ist. Dazu brauche ich nicht einmal raus zu gehen, um all die Blätter auf den Straßen zu sehen und all die Menschen mit ihren dicken Schals. Ich weiss das, weil ich es spüre. Nicht nur, weil die Luft anders riecht und ich wieder mit Bettsocken schlafen muss. Nein auch, weil diese verdammte Nagelhaut wieder so trocken ist. Da kannste cremen wie du willst, die ist einfach so staubtrocken. Wie ein Sandsturm in der Wüste, plötzlich da, obwohl du vor gerade einmal drei Wochen in Flipflops durch die grüne Oase gelaufen bist. Die Zeit ist einfach gnadenlos. Drei Wochen im Sommer sind drei Wochen. Aber im Übergang von Sommer zu Herbst, dieser undefinierbaren Zwischenjahreszeit, entsprechen drei Wochen drei Monaten. Die Zeit rast, oder es kommt einem nur so vor, weil sie im Sommer ja immer still steht. Sie rast und mit ihr die Gedanken, die in jede noch so verästelte Vene strömen. Ehrlicherweise hat man nach dem Sommer auch gar keine Lust mehr, auf jeder Welle zu surfen. Und es gibt auch kein kühles Bier mehr, mit dem man aufkommende Gedanken hätte hinunter spülen können. Es gibt nur kühle Luft, davon aber reichlich und die trocknet alles aus, nicht nur die Haut auch das Herz, welches vor ein paar Wochen noch purpurrot und saftig pumpte als gäbe es kein Morgen. Barfuss und mit dem Herz in der Hand nach Hause tanzen, bis die Wolken lila sind. Aber natürlich gibt es immer ein Morgen. Und heute sieht dieses Morgen schrumpelig und vertrocknet aus. Es ist wieder diese Zeit, in der die Realität so knallhart auf den Küchentisch klopft, dass mein Tee verschüttet als hellbraunes Rinnsal auf die weißen Fliesen tropft. Und wenn du nicht aufpasst, mit deinen Wollsocken, dann bist du schneller ausgerutscht als dir lieb ist.

Der Herbst ist so fies, weil er so gnadenlos ehrlich ist. So pur und irgendwie auch echt. Denn mit all den Blättern fällt auch meine Maske. Und deine. Die Wahrheit ist ja manchmal so verrückt, dass sie keiner glaubt. Vielleicht, weil wir vernebelt sind von all dem Weichspüler in unseren Acne Schals oder weil wir lieber Lügen glauben, so lange sie sich gut anfühlen.

Weisst du, die Sache ist ja die, dass du nicht da bist, wenn es Herbst wird. Dass du immer hier bist und dort, aber nie da. Wenn das Kissen neben mir kalt ist und mein Herz bis zum Hals schlägt. Da hast du leicht reden, denn Herbst ist ja nicht nur ein Gefühl, sondern real. Denn nur Sommer ist, was in deinem Kopf passiert. Und hier passiert gerade gar nichts, außer der Tatsache, dass lauwarmer Tee von meinem Küchentisch tropft und fast gefriert bevor er den Boden erreicht, weil die Luft so kalt ist. Weil zwischen Wollpullover und Flatterkleidchen immer noch ein Spalt breit Platz ist. Weil meine Türe immer noch einen Spalt weit offen steht. Du blockierst den Durchgang, verstehst du das? Im Sommer ist so ein bisschen Durchzug zuweilen ja noch ganz angenehm, aber jetzt, im Herbst kann solch einen eisigen Windhauch wahrhaftig niemand gebrauchen.

Das Thermometer zeigt 11,2 ° C und das ist Sommer im Vergleich zu der Kälte im Herz. Aber es sind auch 11, 2 ° C vom Gefrierpunkt entfernt und wenn wir dein und mein Herz zusammen tun, dann kommt dabei vielleicht so etwas wie Herbst heraus.

Ich drücke meine Nasenspitze an das kalte Küchenfenster und male mit dem Zeigefinger ein Herz in das kondensierte Nass. Die Tür fällt ins Schloss und ich spüre einen kühlen Windhauch in meinem Nacken.

 

© Julia

Grenadine.

Prosa

Ich sitze im Schneidersitz vor dem Fenster und pule die Fusseln von meinem Wollpullover. Manche Dinge kann man ganz einfach abstreifen. Kleidung, Manieren oder eben Fusseln. Dein Geruch hingegen steckt ganz tief in meiner Nase. Ich beiße immer wieder in das Stück Zitrone in meinem Tee, obwohl mir jedes Mal die Gesichtszüge entgleisen aufgrund der Säure. Überhaupt mag ich süß viel lieber als sauer. Oder scharf. Mitohne. Immer. Du.

Wenn der Wind aus Südwest weht, drücke ich mein Ohr ganz fest auf deine linke Brust und lausche dem Konzert der Bässe. Unter all den Muskeln und Haaren schlägt tatsächlich ein Herz und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass es das nur mich tut. Für uns. Für diesen einzigen Moment Ewigkeit.

Die Jahre vergehen, aus Rosa wird Rot und alles bekommt mehr Farbe. Die Bäume mehr Ringe und die Linien um unsere Augen werden tiefer. Ich solle nicht in der Vergangenheit leben, sagen sie. Aber was ist, wenn du meine Zukunft bist? Wenn du alles bist, was dieser jämmerlichen Anhäufung von Zellen einen Sinn gibt? Nicht, weil ich mir das so ausgesucht hätte, sondern weil es so ist. Verstehst du, wie das unangenehme Stechen, wenn man zu hastig ein Getränk mit zu viel Kohlensäure trinkt. Ein kurzer, fieser Schmerz, der dir die Luft zum Atmen nimmt und sich bis in den Magen ausbreitet. Bloß Millisekunden – dann ist es vorbei. Und du wirst es immer wieder tun, weil der Mensch ja nun mal trinken muss. Und sind es nicht immer die Sekunden im Leben, die es zu dem machen, was es ist. Aneinandergereihte Entscheidungen, Zufälle – vielleicht alles ein perfider Plan? Wer weiss das schon. Hat man denn überhaupt eine Wahl? Ich hätte links abbiegen können. Dann hätte es dieses kleine Lächeln nicht gegeben. Diese zwei Sekunden, nach denen nichts mehr so ist wie es war oder sein wird. Und immer wenn ich die Liebeskarte ziehe, ist dein Antlitz darauf zu sehen – dabei führen so viele Wege nach Rom. Die staubige Landkarte liegt seit Jahren verknittert im Handschuhfach. Es fühlt sich immer noch so an, als ob die beste Zeit unsere war. Deine Hand auf meinem Knie und warmen Wind in den Haaren. Der hat sich ganz fies in den Gehirnwindungen verfangen und heute beschlägt meine Brille, weil meine Gedanken so heiß laufen.

Und dann esse ich mitten im tiefsten Winter diese ökologisch völlig inkorrekten Heidelbeeren, um wenigstens ein bisschen etwas von dem verblassten Gefühl einfangen zu können und dann schmecken sie mir nicht einmal. Weil keine Zeit für Romantik bleibt, weil du gelernt hast dem Wind zu trotzen auch wenn dir dieser verdammte Spiri-Tee sagt, du sollst auf dein Gefühl vertrauen und du es aber partout nicht finden kannst zwischen all den Splittern. Dann sitze ich mit roten Granatapfel Spritzern auf meinem weißen T-Shirt da, was eigentlich deins ist. Und stelle fest, dass es mein Herz ist, das übergelaufen ist. Keine Spuren des Liebesapfels. Ich eile auf den Balkon, weil es nur so quillt und spritzt und die Sauerei will ja auch immer keiner aufwischen. Purpurne Tropfen auf weißem Schnee. Schneewittchen. Ist die nicht an einem Apfel erstickt? Weisst du, ich vermisse dich manchmal so sehr, dass ich das Gefühl habe zu ersticken, obwohl ich keine Äpfel esse. Nicht im Winter und auch sonst nicht. Aber das Gefühl von dem warmen Wind in meinen Haaren, das werde ich nicht los. Und immer wenn der Wind aus Südwest weht, drücke ich mein Ohr ganz fest auf deine linke Brust und lausche dem Konzert der Bässe. Unter all den Muskeln und Haaren schlägt tatsächlich ein Herz und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass es das nur mich tut. Für uns. Für diesen einzigen Moment Ewigkeit.

 

© themagnoliablossom

S. A. D.

Das Münchner Kindl, Kolumnen

Ja, jaaa! Auch ihr dürft meine neue Kolumne lesen. Erscheint monatlich auf das Münchner Kindl. Da dürft ihr auch ma gucken. Is schön da ❤


 

Je älter man wird, umso eher hat man ja mal hier und da so ein klitzekleines Zipperlein. Ein Stechen in der Brust, ein Ziehen in der Magengegend so was in der Art halt. Manchmal google ich das dann. Und schon während ich die ersten Buchstaben in die Suchleiste tippe, weiss mein Gehirn, dass das eigentlich totaler Schwachsinn ist. Trotzdem tippe ich weiter. Lese, scrolle, klicke, lese. So führt eins zum anderen, draußen wird es dunkel und ich leide an ernstzunehmenden Krankheiten. Wusstet ihr, das „Ziehen im Oberbauch“ auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit zurückzuführen ist? Nein? Tritt das Ziehen aber in Verbindung mit Husten und Atemnot auf, kann das auf eine Lungenerkrankung hindeuten. Tumor nicht ausgeschlossen. Nur bei frühzeitiger Deutung der genauen Ursache kann eine geeignete Therapiemaßnahme ergriffen werden. Jetzt ist es aber schon spät und die Arztpraxen haben geschlossen und ich überlege ernsthaft wo sich die nächste Notfallstation befindet und sehe mich schon keuchend am Boden liegen. Allein in meiner Wohnung. Und den fehlenden zwei Zentimetern bei ausgestreckter Hand zum Telefon. Gaaah! Ziehen im Oberbauch. Vielleicht muss ich auch einfach nur mal auf´s Klo… Einatmen, ausatmen. Teewasser aufsetzen, ein paar Kekse, ein Stückchen Schokolade. Zwei, drei ups Packung leer. Huch! Verstärkter Appetit auf Süßes. Gleich ma Symptome googeln. Meine Augen saugen die Buchstaben aus dem Internet.

  • Verlängerung der Schlafdauer
  • Verstärkter Appetit auf Süßes / Kohlenhydratheißhunger
  • Gewichtzunahme
  • Müdigkeit

Ahhh, alles mit JA beantwortet. Das hab ich! S.A.D. Seasonal Affective Disorder. Ach herrje! Das hat mir ja gerade noch gefehlt. Mein Gehirn meldet sich zu Wort. Vielleicht habe ich auch einfach nur Winterdepresssion. Oder Männerschnupfen. Das ist ja ähnlich schlimm. Da hilft nur eine Familien Pizza. Mit extra Käse. Für mich ganz allein.

Sonntags.

Inspiration, Musik

Wenn die Blätter lautlos von den Bäumen fallen und das Rascheln unter den Füßen unerträglich wird, wenn der Nebel mit dem Morgengrauen konkurriert, wenn die Tage kürzer und die Nächte länger werden, dann kehrt mit dem kühlen Wind auch immer ein bisschen Melancholie ein, im Herzen.

Es ist die Veränderung, die die Natur durchlebt und die leise Vorahnung, dass mit dem ersten Schnee auch immer etwas Salz in alte Wunden gestreut wird. Die Sehnsucht nach Wärme, auch wenn die Kälte noch nicht wirklich zu spüren ist. Das unstete Flackern der Kerze, die dampfende Tasse Tee, die die Gedanken zu vernebeln scheint. Das Gefühl weinen zu wollen, obwohl die Sonne scheint.

Herbst.

Inspiration

Wenn die letzten grünen Blätter von den Bäumen fallen – gelb bis bräunlich, gegerbt von der Sonne. Im Wind tanzend und wie ein Konfettiregen auf mich herabfallend. Dann liegt er in der Luft, der Duft des Herbstes. Ich ziehe den Kragen meines Mantels höher. Duftender Tee, wärmende Suppe und Kürbisse. Ein prächtiges Farbenspiel. Ich spüre die Sonne auf meiner Haut und höre das Meer rauschen. War das nicht erst gestern?

Herbst

Coffee love

© themagnoliablossom

Einmal um die Welt in einer Stunde

Kolumnen

Hochgeklappte Bürgersteige. Alles zu. Ende. Aus. Es gibt nichts mehr. Gähnende Leere herrscht trotzdem nicht – im Gegenteil.

Hometown Glory

Kolumnen

Es ist absolut nicht empfehlenswert sich am l e t z t e n Samstag vor Weihnachten in das Innenstadt-Getümmel zu wagen. Das große Jahrestreffen aller im-Weg-rum-Steher, Langsam-Latscher und Zick-Zack-Läufer und derer, die zwar einen zügigen Gang drauf haben aber nur, um dann urplötzlich ad hoc stehen zu bleiben. Oh, ein Eichhörnchen. Oh, ein weißer Mantel. Glühwein… Ups!

Moody

Musik

Heute ist so ein richtiger Herbsttag. Kalt. Grau in grau. Und Regen ohne Ende.

Genauso fühle ich mich und stelle fest, dass wir – mein Körper und ich – noch nicht wirklich bereit dafür sind…

Deshalb verabschiede ich mich jetzt mit einer großen Tasse Tee (und ein paar Keksen) auf meine Couch und lausche ein bisschen I am Kloot.

 

 

 

 

 

Und ihr so? 😉

 

© themagnoliablossom