Der Lack ist ab.

Inspiration, Kolumnen

Manchmal, wenn es regnet sitze ich am Fenster und pule den abgesplitterten Nagellack von meinen Fingern. Mal rot, mal schwarz. Manchmal auch pink oder weiß. Während die feinen, bunten Splitter wie Konfetti auf die Straße fallen, frage ich mich, warum es so schwer ist sich für irgendetwas zu entscheiden. Ich meine rot oder schwarz. Kein grau oder braun, sondern rot oder schwarz. Oder eben weiß. Unzählige Fläschchen stehen da in dem Regal, eines schöner als das andere und ich muss nur eines herausnehmen, aufdrehen und den Pinsel langsam über meine Nägel gleiten lassen. Und nach ein paar Minuten ist der Lack getrocknet und dann ist der da. Bis ich ihn irgendwann wieder abpule. Und wenn ich nicht so lange warten will, dann tränke ich einen Wattebausch mit Nagellackentferner und mit einem Wisch ist alles weg – rückstandslos. An manchen Tagen mache ich das drei oder vier Mal. Farbe drauf, Farbe ab, neue Farbe drauf. Und komme mir dabei ziemlich doof vor. Genauso doof, wie wenn ich vor dem Supermarktregal stehe und mich acht verschiedene Sorten Äpfel anlächeln. Die ich alle ziemlich lecker finde. Aber welchen soll ich denn da dann nehmen? Nur, weil die alle toll aussehen, heisst das ja noch nicht, dass die auch alle lecker schmecken. Ich muss mich also für einen entscheiden und es ausprobieren. Je nachdem, ob ich im Biomarkt oder beim Supermarkt um die Ecke bin, kostet mich das vielleicht fünfzig Cent. Einen Euro, wenn es hoch kommt. Das kann man schon mal riskieren. Was aber, wenn es da einen Menschen gibt – einen aus Fleisch und Blut – der irgendwie genauso hübsch aussieht, wie eines dieser Nagellackfläschchen im Regal, genauso lecker wie einer dieser roten, glänzenden Äpfel. Was, wenn ich vielleicht schon mal probiert habe, so ein kleines bisschen genascht habe und der Apfel tatsächlich ziemlich süß schmeckt. Soll ich den dann nehmen? Gleich ein ganzes Kilo kaufen? Oder war nur dieser eine Apfel so besonders lecker, weil der gerade ganz oben lag? Das ist schwierig und man soll ja Äpfel auch nicht mit Birnen vergleichen, wobei ich Birnen auch ganz gerne mag. Und ich weiss ja nicht, ob es nächste Woche nicht noch eine ganz andere Sorte gibt, die mir vielleicht noch viel besser schmeckt? Wer weiss das schon?

Eine Garantie gibt es nicht. Es gibt keine Garantie, dass dieser Apfel schmeckt und keine Garantie, dass er nicht nach ein paar Tagen anfängt zu faulen. Von Innen. Diese scheiss verfluchte Garantie gibt es nicht. Einmal, da habe ich den Lack eine ganze Weile nicht abbekommen. Da musste ich richtig kratzen und pulen. Eine ganze Weile war da immer noch diese abgesplitterte Farbe. Schön is anders. Nicht mal Nagellackentferner half da. Der Körper merkt sich ja sowas. Und vielleicht will man ja auch gar nicht immer denselben Lack tragen.

Ist ja auch so schön einfach. So ohne Kompromisse und mit Weglaufen, wenn´s brenzlig wird.

Vielleicht ist dieses ganze „eine-Generation-die-sich-nicht-entscheiden-kann-Gerede“ eine Farce. Vielleicht müsste einfach mal einer daher kommen und sagen, „ab heute ist sich festlegen wieder en vouge“. So ein Ober-Hipster oder so. Und wenn alle Hipster das dann auch so machen würden, würde dann eine ganze Generation zusammenbrechen? Vielleicht ist das dann so uncool, dass es schon wieder cool ist. Oder wäre das der Befreiungsschlag, auf den wir alle insgeheim warten? Sagt mal, wollen wir nicht alle jemanden, der da ist? Haben wir nicht alle irgendwie die Schnauze voll von all dem Mingle-Scheiss? Ja. Nein. Morgen. Vielleicht. Nie. Nähe ja, aber bitte nur temporär und selbst dann wird´s unerträglich! Ich mache halt am liebsten, was ich will. Ist ja auch so schön einfach. So ohne Kompromisse und mit Weglaufen, wenn´s brenzlig wird. Können wir überhaupt noch etwas aushalten? Irgendwas? Oder sind wir alle weichgespülte Jammerlappen unter dem Deckmantel einer coolen Hipster-Attitude?

Wollen wir nicht alle jemanden, der da ist? Am Sonntagabend, wenn der Tatort scheisse ist und es regnet. Doch irgendwie will keiner seine Gefühle offen legen, ist ja auch irgendwie uncool, wenn der andere die dann nicht erwidert. Aua!

Komisch, sind wir doch sonst so risikofreudig. Zelten auf Festivals unter freiem Himmel mit Drogen im Kopf und Bier im Bauch. Probieren uns durch die Weltküche. Naschen mal hier und mal da. Wir ziehen in Großstädte, um uns hip und urban zu fühlen und den Lebensstil zu führen, der so gut zu unserem selbstoptimierten Bild passt. Wir bereisen ferne Kontinente und kreieren eine für uns perfekte Welt. Mit der Illusion eines perfekten Partners. Aber wenn dann mal eine oder einer da ist, der die Rolle eines solchen Partners übernehmen könnte (in echt, nicht im Kopf!), drucksen wir rum. Traun uns nicht so recht, quälen uns (und unsere Freunde) mit der immer wiederkehrenden Frage, ob das denn nun alles so Sinn macht. Jedes Wort, jede Whatsapp-Nachricht wird gewendet und gedreht und eigentlich ist es ja da schon klar, dass da irgendwie mehr ist. Sonst wäre es ja egal. So einfach ist das. Entweder wollen wir alles und der andere nichts, oder uns reicht eine halbgare Zwischenmahlzeit, weil wir nebenher schon längst wieder weiter optimieren und eigentlich auch gerade satt sind. Dann tut´s nur dem anderen weh. Ja, Risiko und Abenteuer – das wollen wir. Aber wenn´s ans Eingemachte geht, wenn´s darum geht Stellung zu beziehen in Herzensangelegenheiten, da sind wir dann plötzlich ganz klein mit Hut.

Liebe

Aber sind wir so, weil der andere so ist? Weil alle so sind? Wenn jeder in seiner Welt lebt und sich auf nichts einlässt, kann das ja auch irgendwie nichts werden. Dann brauchen wir uns aber am Ende auch nicht beschweren, wenn wir uns sonntags allein und verkatert den Tatort reinziehen.

Ja! Und dann einfach auch mal was aushalten.

Ich glaube, wir brauchen mehr Mut. Mut zu Gefühlen und Mut ja zu sagen. Mut uns zu entscheiden und festzulegen. Und dann einfach auch mal was aushalten. Den Opa hat ja auch keiner gefragt, ob der Maurer sein will. Da war das dann einfach so. Damals, nach dem Krieg. Und trotzdem ist er dann glücklich gewesen. Vielleicht sogar mehr als unsereins. Vielleicht, weil es ein gutes Gefühl ist, sich auf etwas einzulassen. Den Mut haben, auch in weniger guten Zeiten zusammenzuhalten. Weil es ein gutes Gefühl ist zu sagen wir schaffen das. Weil man zu zweit einfach weniger allein ist. Weil nicht immer alles rosa ist und glitzert und, weil man einfach nicht immer alles alleine machen kann. Weil man alleine mit der Sonnencreme einfach nicht an jedes Fleckchen Haut am Rücken kommt. Weil es einfach viel angenehmer ist, wenn dir jemand beim Kotzen die Haare hält. Weil es einfach schön ist, wenn dich jemand zudeckt, wenn du auf der Couch eingeschlafen bist und dich wunderschön findet, selbst wenn dir die Sabber aus den Mundwinkeln läuft. Weil es schön ist, wenn dir morgens jemand deinen Lieblingskaffee ans Bett bringt. So einfach ist das.

Und manchmal, wenn es regnet, sitze ich am Fenster und pule den abgesplitterten Nagellack von meinen Fingern. Während die feinen, bunten Splitter wie Konfetti auf die Straße fallen, denke ich mir, dass dieses Rot eigentlich meine Lieblingsfarbe ist. Weil genau diese Nuance so gut zu meiner Haut passt. Schlicht und schön. Nicht zu aufdringlich, aber dennoch fancy. Ladylike, und doch irgendwie girlie. Und selbst, wenn eine Ecke abgesplittert ist – immer noch verdammt cool. Ich laufe in die Küche und nehme mir einen Apfel aus dem Obstkorb. Meine Lieblingssorte.

 

 

© Julia

 

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