Auf knarrenden Dielen laufe ich hinein in den dunklen Flur. Links und rechts sitzen ein paar Menschen auf alten, dunkelgrünen Samtsofas und trinken Gin mit Tonic. Die Gesichter sind hinter den schweren Kristallgläsern nur als helle Schatten zu erahnen. Das schummrige Kerzenlicht hüllt ihre Mienen in ein geheimnisvolles Halbdunkel.
Ich schüttle meinen Regenschirm, um ihn von den letzten Tropfen zu befreien und ein bisschen auch, um mich meinem Unbehagen zu entledigen. Die dunklen Halbschatten quittieren meine Sprenkel-Aktion mit einer Mischung aus pikiert sein und müdem Lächeln. Der Boden ist jetzt gefährlich glatt und ich muss aufpassen, dass ich nicht ausrutsche.
Als ich um die Ecke biege, sitzt du bereits am Tisch. Der quadratische Raum ist genauso grün wie die Sofas am Eingang und die Wände sind golden. Es glitzert etwas. Aber vielleicht sind das auch deine Augen. Es ist ein schöner Tisch. Mitten im Geschehen, aber dennoch weit genug entfernt, um etwas Privatsphäre zu genießen. „Hallo“ sage ich und du drückst mir einen Kuss auf die Wange. Deine Lippen sind so zart, dass ich mehr als bereitwillig die Andere hinhalte.
Dann sitzen wir also auf ledernen Stühlen, zwischen Vorfreude und Nervosität gesellt sich ein infantiles Gekicher und ein Platz bleibt frei. Wir wissen beide nicht, wie wir ihn füllen sollen. Und wenn es nur der Abstand von einem zum anderen Tischende ist. Weil wir uns nicht entscheiden können, nimmt der Kellner einen Stuhl mit, weil andere sich anscheinend sehr wohl entscheiden können. Ich streiche etwas über die dunkle Schieferplatte und schaue direkt vorbei an deinen Augen. Dein dunkelblauer Anzug sitzt so perfekt, dass ich mich frage, ob du dich hast einnähen lassen. Seidiger Glanz auf dem allerfeinsten Garn. Ich ziehe einen abstehenden Faden aus meiner Bluse und fühle mich schäbig. Der Kellner kommt zum dritten Mal an den Tisch und ich weiss noch immer nicht, was ich will. Getränke wie „Sex on the Beach“ oder „Orgasm“ würden den Kloß in der Kehle nur hinreichend befriedigen, zumal es etwas Derartiges hier nicht auf der Karte gibt. Ich halte nach Einmal-Alles Ausschau, aber auch das suche ich vergeblich.
Im Prinzip ist es ja ganz einfach: Man hat eine Karte, in der man sich aus dreihundertfünfundvierzig Cocktails einen aussucht. Das Problem ist jedoch, dass die alle ziemlich gut klingen. Und wenn man noch nie etwas von Gin-Espuma oder China-China Virana gehört hat, dann sollte man das vielleicht auch einfach mal probieren. Oder vertraut man auf die bewährten Klassiker? Mit Gin und Tonic kann man schließlich nicht viel falsch machen, wie die Herren am Eingang eindrucksvoll bewiesen haben. Hinlänglich bekannt, dass Altbewährtes aber auch niemals der Ort ist, an dem die Magie passiert. Oder doch?
Du überschlägst deine Beine und dein Knie berührt für eine Millisekunde das meine. Wer schon einmal an einen Elektrozaun gefasst hat, weiss wie sich das anfühlt. Der Champagner in meinem Drink ist quasi nur das Wasser in der Wanne und der Föhn gefährlich nahe. Ich nehme noch einen kräftigen Schluck und lecke mir die pinken Zuckerkörner von den Lippen.
Fast ein Jahr ist es her, dass ich den Klang deiner Stimme in meinen Ohren gehört habe. Und noch immer ist das deine Lieblingsmusik. Während du redest und erzählst bin ich fasziniert von deinem Einstecktuch, oder dem Muskel darunter, der bei jedem Schluck aus dem schweren Kristallglas zuckt. Mir wird etwas heiss und du legst dein kaltes Herz auf den Tisch. Es knackt, weil die Luft gefriert. Ich weiss wie der Hase läuft, sage ich und wünschte, ich wüsste es nicht. Wenn du Champagner bestellst und Maraschino Likör bekommst, läuft irgendetwas falsch. Und zwischen all dem Art Déco komme ich mir wie ein Ikearegal vor und muss an Carrie denken.
Weil zwei zu wenig und vier zu viel sind, gehen wir nach genau drei Drinks. Du fischst einen 100 Euro Schein zwischen all den Fünfzigern und denen mit noch mehr Nullen hervor. Stimmt so. Du bist der Lilafarbene untern den Goldenen. Jackpot. Ich vergesse mit Absicht meinen Schirm und hake mich bei dir unter. Muskelberge unter feinem Gewand. Regentropfen perlen genauso ab wie Gefühle. Und wenn es für jeden Topf einen Deckel gibt, bin ich eine Teflonpfanne, denke ich mir und noch bevor ich Luft holen kann, spüre ich deine zarten Lippen auf meinen. Später auch auf denen in meinem Gesicht.
© Julia