Vom Scheitern und anderen erfolgreichen Dingen.

Kolumnen

„Na, geht´s dir gut?“ wird man ja gerne mal gefragt. Morgens im Büro, auf dem Weg in die Kaffeeküche. Beim Sonntagsspaziergang. Oder wenn man sich zufällig in der U-Bahn trifft. Wobei das ja eigentlich gar keine Frage ist, denke ich mir als sich die Türen mit einem piependen Geräusch schließen. Weil man das Fragezeichen ja oft nicht raus hört und es ohnehin viel zu oft eher nach einer Aussage klingt, auf die es nur eine richtige Antwort zu geben scheint. Ich hätte gern nein gesagt. Einfach so, um zu gucken, wie die anderen dann gucken. Das wäre dann so, wie wenn man mal ein Glas Wasser trinkt, bloß um die Leber zu überraschen. Oder so.

Sei glücklich! Und das ist keine Frage.

Geht´s dir nicht gut, stimmt irgendetwas nicht mit dir – so der Tenor. Leiden ist unschicklich. Und das in einer Gesellschaft, in der jede(r) zweite einen Jour Fixe beim (Psycho-) Therapeuten hat und Anti-Depressiva wie Lutschbonbons verteilt werden. Aber leiden, das tut man gefälligst allein in seinem stillen Kämmerlein. Es gibt Tabletten, die glücklich machen. Es gibt Yoga, Tees, Diäten ja sogar Magazine veröffentlichen Guides, die einem das große Glück versprechen. Glücklichsein ist en vouge. Scheitern eher nich so. Ist es naiv, alles Schlechte in einer Kiste auf dem Dachboden zu verstauen – aus den Augen aus dem Sinn? Oder ist es vielleicht sogar gut und wichtig. Ein Ansporn, um seinen inneren Frieden und das ganz große Glück tatsächlich zu finden?

Von Null auf Hundert und zurück

Try again. Fail again. Fail better. Das ist die Start-up Mentalität aus dem Land mit hübschen Sternchen auf der Flagge. Schlechte Erfahrungen bringen gute Ergebnisse hervor. Prägen, machen schlauer und reifer. No risk, no fun. No money und ergo no Erfolg. Mehr Risiko. Mehr Gewinn. Man muss auch mal raus aus der Comfort Zone, was riskieren, um in der Zukunft vom eigenen Mut in der Vergangenheit zu profitieren. Und das ist nicht (nur) im finanziellen Sinne gemeint. Mehr ist mehr. Nur bloß immer weitermachen. Scheitern an sich scheint nicht das Problem zu sein, ist es doch konstitutiv für das Menschsein. Interessant ist aber die Tatsache, dass Scheitern nur anerkannt wird, sofern es Indiz für späteren Erfolg ist. Es gibt unzählige Stories, die in Tellerwäscher-zum-Millionär-Manier vom Scheitern und dem darauffolgenden Erfolg berichten. Von jemandem, der es von ganz unten nach ganz oben geschafft hat, obwohl ihm immer wieder Stolpersteine in den Weg gelegt wurden – vom Schicksal oder von wem auch immer. Dieser jemand ist auf dem Zenit der Glückseligkeit angelangt und das wollen wir ja alle. Oder? Es sind genau jene Geschichten, die Menschen motivieren immer weiter zu machen, zu suchen und zu streben – nach dem, was sie Glück nennen. Was in Vergessenheit gerät ist, dass Glück kein Ort ist, an dem man verweilen kann, sondern per se eine sehr volatile Angelegenheit ist. Vielleicht ist es just diese Eigenschaft, die den Mensch so erpicht es fangen und konservieren zu wollen, dieses Glück.

Sei glücklich! Lautet der wohl einzig gesellschaftlich akzeptiere Imperativ. In den USA ist das sogar ein Geburtsrecht. Was Thomas Jefferson dazu veranlasst hat, das in die Unabhängigkeitserklärung zu schreiben, ist unklar. Denn, die Glücklichsten sind die Amerikaner mitnichten. Trotz und obwohl der „Pursuit of Happiness“ Treibstoff einer ganzen Nation ist. Alles ist möglich. Und das nicht erst seit Trump. Man muss es nur genug wollen. Vielleicht hab ich es auch nicht zu sehr gewollt, dieses Glücklichsein, frage ich mich da manchmal, wenn ich mal wieder die Welt von unten betrachte.

Immer einmal mehr als du

Sei glücklich, sage ich mir dann matraartig und empfinde es zunehmend als Zwang. Ein Diktat der Leistung. Dabei haben Psychologen herausgefunden, dass gerade der Druck glücklich sein zu müssen, erst recht unglücklich macht. Und die müssen es ja wissen. Wenn wir noch ein bisschen weiter gehen und den Verfechter der Abgründe und des Unglücks zu Rate ziehen, müssen wir alle ohnehin viel mehr ausharren und auch einfach mal was aushalten. Es scheint, als haben wir das verlernt. Denn Friedrich Nietzsche schrieb und forderte 1886 (!), dass wir das Leben mit seinen Höhen und Tiefen bejahen müssen und uns von der Konvention sowie dem Zwang, alles in gut oder schlecht unterteilen zu wollen, zu lösen. Wir müssen erkennen, dass diese zeitliche Abfolge von Ups und Downs untrennbar ist. Weil Glück und Leid oft nur einen Fingerschnipp voneinander entfernt sind und nichts die Vergänglichkeit und die Volatilität des jeweiligen Zustandes mehr verkörpert als dieser schmale Grat. Und, noch viel wichtiger: Die Erkenntnis, dass gerade in der Annahme dieser These der eigentliche Mut und die Stärke liegen. Puh, mag da jetzt vielleicht einer denken, was interessiert mich das Geschwätz eines alten, grauen Mannes. Aber auch die blitzgescheite Bloggerin und Autorin Ronja von Rönne berichtet in ihrer Rede vom Aufgeben als einer Form von Befreiung. Denn es ist ja so: Man merkt ja beispielsweise innerhalb von Sekunden, ob etwas passt oder nicht. Oft ist da das Unterbewusstsein sogar schneller als der Verstand. Beim Studium, bei Jobs aber auch bei Menschen. Da kann man ruhig mal auf sein Bauchgefühl hören. Und scheitern. Vielleicht was daraus lernen, vielleicht aber nicht und einfach scheitern, um des Scheiterns Willen und das, meine Freunde (surprise!) ist auch völlig okay.

Immer einmal mehr aufstehen, als man hinfällt, sagte Mutti schon im Kindergarten. Und nicht nur, wenn das Fahrradfahren ohne Stützräder nicht so ganz funktioniert hat. Dieser Satz impliziert ja noch etwas ganz anders. Hinfallen okay, liegenbleiben nicht okay. Vielleicht müssen wir mit diesen alten Mythen endlich aufhören, die so fest in unseren Gehirnen verankert sind. Scheitern ist nämlich gar nicht mal so unsexy. Hinfallen (mit High Heels) auch nicht. Und dann halt auch einfach mal auf dem Boden liegen bleiben. Von hier eröffnet sich nämlich ein ganz neuer Blickwinkel.

 

© Julia

 

14 Gedanken zu “Vom Scheitern und anderen erfolgreichen Dingen.

  1. Jeder 2. sitzt mal auf der Psychocouch? Schlimmer, als ich dachte.
    Ich würde sagen, das Leiden ist in der Gesellschaft angekommen und wird zu sehr zelebriert. Das kann man auch bei vielen Blogs erkennen, deren Schreiber sich über diverse eigene psychische Krankheiten auslassen. In der Masse kann ich es leider nicht mehr verstehen.
    Jedem geht es mal schlecnt. Jeder ist mal am Boden. Will mal eine Weile liegenbleiben. Aber aufstehen muss halt doch sein.

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  2. Ein schöner Artikel. 🙂

    Man wird ja gerade dann gefragt ob man glücklich ist, wenn man nicht glücklich aussieht. Es ist oft ein Aufruf doch nun bitte glücklich zu wirken, damit man andere Leute nicht noch mit runterzieht. Glück ist ein Hochgefühl und kann daher nicht von Dauer sein, sonst wäre es ja der Normalzustand.
    Man kann wohl zufrieden sein, wenn es einem gelingt sein Leben so zu führen, dass man nicht die innerliche Zuversicht und das Zutrauen zu sich selber verliert, denn die tragen einen auch durch die Täler des Lebens. Natürlich wünscht man sich die Gipfel zu erstürmen und das sollte man auch versuchen, da ist schließlich die Aussicht besser. Wenn man sich selbst in Anbetracht des Ziels allerdings komplett aus den Augen verliert, dann wird der Fall ggf. tief und der Aufprall entsprechend hart sein. Bitter bleiben Enttäuschungen allerdings trotzdem, egal wie man es anstellt.

    Dazu fällt mir noch ein Gedicht von Theodor Fontane ein:

    Nicht Glückes-bar sind Deine Lenze,
     
    Du forderst nur des Glücks zu viel;
    
Gieb Deinem Wunsche Maaß und Grenze,
     
    Und Dir entgegen kommt das Ziel.

    Wie dumpfes Unkraut laß vermodern,
    Was in Dir noch des Glaubens ist:
    
Du hättest doppelt einzufodern
     
    Des Lebens Glück, weil Du es bist.

    

Das Glück, kein Reiter wird’s erjagen,
    Es ist nicht dort, es ist nicht hier;
    Lern’ überwinden, lern’ entsagen,
     
    Und ungeahnt erblüht es Dir.

    😉

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  3. Hallo Julia, ein schöner Text! Ich habe vor kurzem etwas ähnliches geschrieben, nur von einer anderen Aussage ausgehend (https://annapepperspray.wordpress.com/2016/10/05/einfach-machen/). Ein Text über die Wichtigkeit des Unzufriedenseins (denn wie sollen wir wissen was uns zufrieden/glücklich macht, wenn man nicht ausprobiert aka hin und wieder unzufrieden ist) ist aber gerade auch in Arbeit und kommt hoffentlich bald!

    Ganz liebe Grüße
    A

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  4. Gesprächseröffnung:“Na, gehts Dir gut?“ (s.o.). Antwort: „danke, alles super!“. Gespräch beendet.

    Gesprächseröffnung:“Na, gehts Dir gut?“(s.o.). Antwort: „nee, ziemlich Scheiße“. Gegenantwort: „Ach, echt? Erzähl doch mal…..“

    Mit scheint oft, es ist spannender zu hören, warum es jemandem NICHT gut geht als anders herum. Deshalb habe ich auch den Eindruck, dass Menschen gerne jammern, wenn man sie trifft….

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