Bunter Staub.

Inspiration, Prosa

Weisst du noch, wie wir im Sommer mit bunter Kreide Herzchen auf den Asphalt gemalt haben? Ganz viele kleine und dann ein ganz großes außen rum. Du von der einen Seite, ich von der anderen. Oben, in der Mitte, dort wo die zwei geschwungenen Linien zusammenlaufen, haben wir uns getroffen. Manchmal haben wir uns sogar den Kopf gestoßen dabei – vor lauter Eifer. Was haben wir gekichert, waren doch unsere guten Sonntagsklamotten von oben bis unten voll mit buntem Staub. Wir haben Zebrastreifen gemalt und uns ein buntes Pony in den Garten gewünscht. „Wenn wir ganz fest dran glauben, während wir die Samen der Pusteblume gen Himmel hauchen, dann steht morgen nach dem Aufwachen vielleicht eines im Garten. Ziemlich sicher sogar“. Du warst so klein und deine feinen Haare wogen sich immer ganz sanft im Wind, wenn du unten auf dem Bordstein saßst, in deiner gelben Hose und dem dunkelblauen T-Shirt. Manchmal hast du dir einen kleinen Laden gemalt und selbstgepflückte Blumen verkauft. Für einen Pfennig. Vielleicht auch zwei.  Es war Sommer und roch nach frisch gemähtem Gras. Doch irgendwas lag in der Luft, irgendetwas, das den nahenden Herbst ankündigte. Als Kind denkt man ja, der Sommer sei endlos. Die sechs Wochen Sommerferien kommen dir wie eine Ewigkeit vor. Jeder Tag wie ein Jahr. Das verlernen wir irgendwie mit dem Alter. Da ist dann immer zu wenig Zeit hier, zu wenig Zeit da. Alles muss schnell gehen und keiner hat mehr Zeit. Trotzdem machen alle irgendwas. Immer. Wo geht sie denn hin, die Zeit?

Samstags durften wir manchmal länger aufbleiben und dann kommt dir der Tag noch viel länger vor. Frisch geduscht gab es Abendbrot und es schmeckte besser, wenn man die Stulle in kleine Stücke schnitt und die Rinde ab. Und sowieso schmeckte das Brot des Andern immer besser. Kauend und kichernd saßen wir da. Im Hintergrund lief leise die Sportschau und wir hielten uns die Bäuche – vor Lachen und dem vielen Eis, das es manchmal noch zum Nachtisch gab. Weisst du noch, wie ich dir den Kopf gestreichelt habe, bis du endlich eingeschlafen bist? Geträumt haben wir von dem Pony im Garten und Ausritten zum Mond und es war so real, dass wir am nächsten Morgen Muskelkater in den Oberschenkeln hatten vom Reiten. Weisst du all das noch? Immer, wenn samstags die Sportschau leise im Hintergrund läuft, überkommt mich ein Gefühl von Heimat und ich rieche das Shampoo in deinen weichen Haaren. Ab und an wünsche ich mir die Zeit zurück, in der man sich eine ganze Welt aus Kreide malen kann. Und manchmal, wenn es regnet beobachte ich den bunten Matsch, den die dicken Tropfen in den Gully spülen und frage mich, wo ist sie geblieben, die Zeit?

© Julia

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